Die dokumentenbasierte LLM-Übersetzung markiert einen Paradigmenwechsel in der maschinellen Übersetzungstechnologie innerhalb von TMS-Systemen wie MemoQ oder Trados – so das Fazit unseres Interviews mit Übersetzungstechnologie-Experte Jourik Ciesielski. Herkömmliche MT-Systeme verarbeiten Texte innerhalb von TMS-Systemen segmentbasiert, d. h. auf Basis einzelner Segmente, wobei wertvolle Kontextinformationen verloren gehen können. Aus diesem Grund hat Jourik Ciesielski einen innovativen Ansatz entwickelt, der das gesamte Dokument innerhalb von TMS-Systemen erfasst und dadurch präzisere, kohärentere und natürlichere Übersetzungen ermöglicht.
Dieser Artikel untersucht basierend auf Ciesielskis Expertise die technischen Grundlagen, spezifischen Vorteile und Zukunftsperspektiven dieser vielversprechenden Technologie.

Jourik Ciesielski: Vorreiter in LLM-basierter Übersetzungstechnologie
Als CTO bei Yamagata Europe und Gründer von C-Jay International hat Jourik Ciesielski einen wegweisenden Prototyp für dokumentenbasierte LLM-Übersetzung entwickelt. Seine Lösung integriert fortschrittliche KI-Technologien mit den praktischen Anforderungen der Lokalisierungsbranche.
Mit seinem einzigartigen Hintergrund als ausgebildeter Übersetzer und Technologieexperte versteht Ciesielski sowohl die linguistischen Nuancen als auch die technischen Herausforderungen der maschinellen Übersetzung – eine seltene Kombination, die ihn zu einem führenden Innovator in diesem Bereich macht.
Die technische Architektur dokumentenbasierter LLM-Übersetzung
Um die revolutionäre Natur dokumentenbasierter LLM-Übersetzung zu verstehen, müssen wir zunächst die Einschränkungen der MT-Übersetzung innerhalb von herkömmlichen TMS-Systemen unter die Lupe nehmen.
Der traditionelle Segmentierungsansatz und seine Grenzen
In konventionellen Translation Management Systemen (TMS) werden Dokumente in einzelne Segmente zerlegt. Ziel ist es, die zweisprachige Bearbeitung zu erleichtern und zu übersetzende Inhalte effizienter mit früheren Übersetzungen in Translation Memories und Glossaren abzugleichen. Das kann aber auch eine Einschränkung für die Bearbeitung durch MT-Engines darstellen. Das Problem bei maschineller Übersetzung in TMS-Systemen ist, dass Dokumente häufig auf Satz-für-Satz-Basis verarbeitet werden. Diese Segmentierung führt zu einem kritischen Verlust von Kontextinformationen, die für die korrekte Interpretation und Übersetzung von sprachlichen Elementen wie Pronomen und, Verweisen durch MT-Engines unerlässlich sind. Ohne diesen Kontext muss das Übersetzungsmodell „raten“, worauf sich bestimmte Wörter beziehen, was zu Inkonsistenzen und Fehlern führen kann.
Der dokumentenbasierte Workflow
Ciesielskis Prototyp für dokumentenbasierte LLM-Übersetzung verwendet einen grundlegend anderen Ansatz. Anstatt Texte in isolierten Segmenten zu betrachten, behandelt er das gesamte Dokument als kohärente Einheit und bewahrt damit den vollständigen Kontext. Der Workflow umfasst mehrere kritische Schritte und wurde von Ciesielski für uns beschrieben:
- XLIFF-Verarbeitung: Der Prototyp liest XLIFF-Dateien (XML Localization Interchange File Format) – das Standardformat für den Austausch von Übersetzungsinhalten in der Lokalisierungsbranche.
- Intelligente Inhaltsextraktion: Das System identifiziert übersetzbaren Inhalt und filtert bereits übersetzte Segmente (vollständige Translation-Memory-Matches) heraus.
- Textrekonstruktion: Die zu übersetzenden Segmente werden zu einem zusammenhängenden Text rekombiniert.
- Kontextbewusste Übersetzung: Der rekonstruierte Text wird als Ganzes an ein LLM übergeben, das den gesamten Kontext für die Übersetzung nutzen kann.
- Präzise Resegmentierung: Der übersetzte Text wird wieder in die ursprüngliche Segmentstruktur zurückgeführt und in die XLIFF-Datei integriert.
Dieser Prozess überwindet die Einschränkungen traditioneller segmentbasierter MT-Übersetzung, indem er dem LLM ermöglicht, den gesamten Dokumentenkontext zu verstehen und zu nutzen – von der ersten bis zur letzten Zeile.
„Das Modell VERSTEHT die Beziehung zwischen den Sätzen (während es bei begrenztem Kontext nur VORHERSAGT). Als Ergebnis trifft es die richtigen grammatikalischen und semantischen Entscheidungen, auch bei kontextarmen Präpositionen, Referenzen, etc.“
Jourik Ciesielski über die Vorteile des dokumentenbasierten AnsatzesDetaillierte Analyse spezifischer Verbesserungen
Die dokumentenbasierte LLM-Übersetzung bietet signifikante Verbesserungen in der automatischen Übersetzung von Inhalten innerhalb von TMS-Systemen wie Trados und MemoQ. Im Folgenden werden drei zentrale Problemfelder und ihre Lösungen durch den dokumentenbasierten Ansatz analysiert.
1. Pronomen-Übersetzung und koreferenzielle Beziehungen
Die korrekte Übersetzung von Pronomen stellt eine der größten Herausforderungen für maschinelle Übersetzungssysteme innerhalb von TMS-Systemen dar, insbesondere bei Sprachen mit grammatikalischem Geschlecht wie Deutsch, Französisch oder Spanisch.
Die Pronomen-Herausforderung
In vielen Sprachen müssen Pronomen mit dem grammatikalischen Geschlecht ihres Bezugsworts übereinstimmen. Bei traditioneller segmentbasierter MT-Übersetzung in TMS-Systemen geht diese Information oft verloren, wenn das Bezugswort in einem anderen Segment erscheint.
Beispiel: Bei der Übersetzung von Englisch ins Deutsche können Pronomen wie „it" besondere Herausforderungen darstellen. Betrachten wir das Beispiel "The company announced its new policy. It will be implemented next month." Hier bezieht sich "it" eindeutig auf "company". Das Problem entsteht, wenn diese Sätze ins Deutsche übersetzt werden müssen, da "company" mit "Firma" (weiblich) übersetzt werden kann und somit das nachfolgende Pronomen entsprechend angepasst werden muss. Herkömmliche MT-Engines in TMS-Systemen können diese Beziehung jedoch häufig nicht erkennen, insbesondere wenn die beiden Sätze unterschiedlichen Segmenten zugeordnet sind. Dies führt dazu, dass einige MT-Engines "it" fälschlicherweise mit "es" statt mit "sie" übersetzen, was grammatikalisch inkorrekt ist, wenn "company" zuvor als "Firma" übersetzt wurde.
Dokumentenbasierte Lösung: Da das LLM den gesamten Text als Einheit verarbeitet, so dass das LLM die koreferenzielle Beziehung zwischen "company" und "it" erkennt und korrekt mit "Die Firma hat ihre neue Richtlinie angekündigt. Sie wird nächsten Monat umgesetzt." übersetzt.
Interne Tests mit Ciesielskis Prototyp zeigten eine beeindruckende Verbesserung bei der Pronomen-Übersetzung. Wie Ciesielski hervorhebt, führt der dokumentenbasierte Ansatz zu einer deutlichen Reduzierung der Fehlerquote bei Pronomen-Referenzen.
2. Terminologische Konsistenz
Die konsistente Verwendung von Fachterminologie ist besonders in technischen, medizinischen und juristischen Texten von entscheidender Bedeutung. Traditionelle MT-Systeme haben erhebliche Schwierigkeiten, Fachbegriffe über längere Texte hinweg einheitlich zu übersetzen.
Advanced Terminology Management
Der Prototyp von Ciesielski verfügt über einen speziell entwickelten Parser, der Glossare in CSV-Format einlesen und die extrahierten Einträge direkt in den zugrundeliegenden Übersetzungsprompt integrieren kann.
Implementierungsdetails:
- Der Glossar-Parser konvertiert das Glossar in ein LLM-freundliches Format
- Die Einträge aus dem Glossar werden an das LLM als Prompt geschickt
- Mit einem "Few-Shot"-Ansatz erhält der LLM nicht nur Anweisungen, sondern auch klare Beispiele, wie er mit dem Text umgehen soll.
Diese fortschrittliche Terminologieverwaltung führt zu signifikanten Verbesserungen bei der terminologischen Konsistenz. Nach Ciesielskis Erfahrungen kann die dokumentenbasierte LLM-Übersetzung eine deutlich höhere Konsistenzrate erreichen als herkömmliche neuronale MT-Systeme, was besonders bei komplexen Fachtexten einen entscheidenden Vorteil darstellt.
"Ich habe viel Arbeit in die Terminologie-Verbesserung gesteckt. Der Prototyp verfügt über einen speziellen Parser, der Glossare im CSV-Format liest und die geparsten Einträge direkt in den zugrundeliegenden Übersetzungsprompt einfügt. Zusätzlich enthält der Prompt maßgeschneiderte Anweisungen für die Terminologieverarbeitung, zusammen mit einigen gezielten Few-Shot-Beispielen."
Jourik Ciesielski zur Terminologieverwaltung in seinem Prototyp3. Tag-Handling und strukturelle Integrität
In der professionellen Übersetzung ist die korrekte Behandlung von Tags (Markup-Elementen) entscheidend für die Bewahrung von Formatierungs- und Strukturinformationen.
Intelligentes Tag-Management
Ciesielskis Prototyp implementiert einen umfassenden Algorithmus für das Tag-Handling, der die strukturelle Integrität des Dokuments während des gesamten Übersetzungsprozesses bewahrt.
Der Tag-Handling-Prozess umfasst mehrere Schritte:
- Tag-Erkennung: Das System kann Inline-Tags in verschiedenen TMS-Systemen identifizieren (memoQ, Phrase, Trados, XTM)
- Tag-Konvertierung: Die Tags werden in ein einfaches, für das LLM lesbares Format umgewandelt, während der vollständige Inhalt der ursprünglichen Tags gespeichert wird
- Prompt-Optimierung: Der Übersetzungsprompt enthält spezifische Anweisungen für die Tag-Behandlung, ergänzt durch gezielte Few-Shot-Beispiele
- Tag-Wiederherstellung: Nach der Übersetzung werden die Tags automatisch in ihrer ursprünglichen Form wiederhergestellt
- Automatische Korrektur: Bei Problemen mit dem Tag-Handling wird eine automatisierte KI-gestützte Tag-Korrektur ausgelöst
Diese fortschrittliche Tag-Verarbeitung beugt Tag-bezogene Fehler vor, was besonders bei stark formatierten Inhalten wie technischen Dokumentationen, Benutzerhandbüchern und HTML-Inhalten von entscheidender Bedeutung ist. Wie Ciesielski betont, kann dies den Aufwand für Post-Editoren deutlich reduzieren, da sie sich weniger mit der Korrektur von Tag-Fehlern befassen müssen.
"Inline-Tags sind entscheidend, aber komplex in der maschinellen Übersetzung zu handhaben – nicht nur müssen die Tags selbst erhalten bleiben, sondern auch ihre Reihenfolge und umgebenden Leerzeichen müssen korrekt übertragen oder in einigen Fällen angepasst werden."
Jourik Ciesielski zur Bedeutung von präzisem Tag-HandlingProzessuale und technische Vorteile
Neben den spezifischen linguistischen Verbesserungen bietet die dokumentenbasierte LLM-Übersetzung auch erhebliche prozessuale und technische Vorteile für Unternehmen und Sprachdienstleister.
Besserer Umgang mit Segmentierungsproblemen in TMS
Ein signifikanter Vorteil des dokumentenbasierten Ansatzes ist der bessere Umgang mit Segmentierungsproblemen. Schlechte Segmentierung in TMS-Systemen kann von schlecht formatierten oder sehr komplexen Quelldateien anhängen und stellt in traditionellen TMS-Systemen ein erhebliches Problem dar.
In traditionellen TMS-Systemen können Segmentierungsfehler zu unvollständigen oder grammatikalisch fehlerhaften Sätzen führen, zum Verlust von Zusammenhängen zwischen zusammengehörigen Textteilen und zu ineffizientem Translation Memory-Einsatz. In diesen Fällen werden Sätze nicht sauber in einzelnen Segmenten getrennt. Dies hat wiederum schlechte Konsequenzen für die traditionelle maschinelle Übersetzung, da MT-Engines in TMS-Systemen jedes Segment einzeln analysieren und übersetzen.
Der dokumentenbasierte Ansatz umgeht diese Probleme elegant, da der LLM sich ganze Sätze anschaut, auch wenn sie sich manchmal über verschiedene Segmente verbreiten und auch wenn die Quelldateien nicht sauber strukturiert sind. So wird die Qualität der automatischen Übersetzung nicht durch Segmentierungsprobleme beeinträchtigt.
TMS-Kompatibilität und Workflow-Integration
Ein entscheidender Aspekt für die praktische Anwendbarkeit jeder neuen Übersetzungstechnologie ist ihre Kompatibilität mit bestehenden Translation Management Systemen und Workflows. Ciesielskis Tool wurde mit besonderem Augenmerk auf nahtlose Integration und Verwendung entwickelt:
- Das Tool ist vollständig kompatibel mit herkömmlichen TMS-Systemen wie MemoQ, Trados und Phrase
- Die Verwendung ist einfach, wobei die Schulung sehr kurz und intuitiv gestaltet ist
- Das Tool kann je nach Use Case und Benutzerbedürfnissen angepasst werden (z.B. Stilrichtlinien als Prompt verwenden, sie für Übersetzungszwecke oder nur QA verwenden, 100% TM-Matches und gesperrte Segmente berücksichtigen usw.)
Aktueller Entwicklungsstand und Zukunftsperspektiven
Aktuelle Entwicklungstrends in der Branche
Die dokumentenbasierte LLM-Übersetzung reiht sich in aktuelle Entwicklungstrends der Branche ein, die zunehmend auf KI-Integration und hybride Ansätze setzen. Laut vielen Experten werden LLMs und traditionelle neuronale MT-Engines nicht länger konkurrieren, sondern verstärkt kombiniert eingesetzt werden. Große Anbieter wie DeepL haben bereits LLMs der nächsten Generation in ihre Übersetzungsdienste integriert.
Bei hybriden Lösungen, die LLMs mit traditioneller maschineller Übersetzung kombinieren, wurden bemerkenswerte Qualitätsverbesserungen festgestellt – bei einigen Implementierungen wurden ohne menschliches Eingreifen sehr hohe MQM-Scores (Multidimensional Quality Metrics) erreicht. Diese Entwicklung unterstreicht das enorme Potenzial dokumentenbasierter Ansätze.
Die dokumentenbasierte LLM-Übersetzung ist Teil eines größeren Paradigmenwechsels in der Übersetzungstechnologie. Ciesielski prognostiziert, dass LLMs traditionelle neuronale MT-Engines bald als Standard für maschinelle Übersetzung ablösen werden.
Dieser Übergang wird wahrscheinlich von mehreren parallelen Entwicklungen begleitet:
- Multimodale Übersetzungssysteme: Integration von Text, Bild und möglicherweise auch Audio in einem einheitlichen Übersetzungsworkflow
- Agentenbasierte Übersetzungssysteme: Autonome KI-Agenten, die komplexe Lokalisierungsprojekte mit minimaler menschlicher Intervention koordinieren
- Erweiterte Retrieval-Augmented Generation (RAG): Dynamisches Abrufen und Integrieren externer Wissensquellen während des Übersetzungsprozesses
"Ich erwarte, dass LLMs bald traditionelle neuronale MT-Engines als Standard für maschinelle Übersetzung ablösen werden. Mit diesem Prototyp möchte ich Anwender auf diesen Paradigmenwechsel vorbereiten, indem ich ihn mit allen Erweiterungen und Optimierungen ermögliche."
Jourik Ciesielski zur Zukunft der Übersetzungstechnologie